Das Herzstück aller Anwendungen der künstlichen Intelligenz sind mathematische Modelle, die so genannten neuronalen Netze. Diese Modelle sind von der biologischen Struktur des menschlichen Gehirns inspiriert, das aus miteinander verbundenen Knotenpunkten besteht. Genauso wie unser Gehirn lernt, indem es die Verbindungen zwischen den Neuronen ständig neu anordnet, können neuronale Netze mathematisch trainiert werden, indem man ihre interne Struktur abstimmt, bis sie in der Lage sind, Aufgaben auf menschlichem Niveau zu bewältigen: unser Gesicht zu erkennen, medizinische Bilder für die Diagnose zu interpretieren und sogar unser Auto zu fahren. Integrierte Geräte, die in der Lage sind, die mit neuronalen Netzen verbundenen Berechnungen schnell und effizient durchzuführen, sind daher zu einem wichtigen Forschungsschwerpunkt geworden – sowohl in der akademischen Welt als auch in der Industrie.

Eine der wichtigsten Neuerungen auf diesem Gebiet war die Entdeckung des Memristors im Jahr 2008. Dieses Bauelement ändert seinen elektrischen Widerstand in Abhängigkeit von einer „Erinnerung“ an den früheren Strom, daher der Name „memory-resistor“ oder „Memristor“. Unmittelbar nach seiner Entdeckung erkannten die Wissenschaftler*innen, dass – neben vielen anderen Anwendungen – das absonderliche Verhalten von Memristoren dem von neuronalen Synapsen erstaunlich ähnlich ist. Der Memristor ist somit zu einem grundlegenden Baustein neuromorpher Architekturen geworden.

Eine Gruppe von Experimentalphysiker*innen der Universität Wien, des Nationalen Forschungsrats (CNR) und der Polytechnischen Universität Mailand, Italien, unter der Leitung von Philip Walther und Roberto Osellame hat nun gezeigt, dass es möglich ist, ein Gerät zu entwickeln, das sich wie ein Memristor verhält, gleichzeitig aber auf Quantenzustände wirkt, und das in der Lage ist, Quanteninformationen zu kodieren und zu übertragen – mit anderen Worten: ein Quanten-Memristor. Die Realisierung eines solchen Bauelements ist eine Herausforderung, da die Dynamik eines Memristors im Gegensatz zum typischen Quantenverhalten steht.

Die Physiker*innen haben diese Herausforderung gemeistert, indem sie einzelne Photonen, d. h. einzelne Quantenteilchen des Lichts, verwenden und deren einzigartige Fähigkeit ausnutzen, sich in einer Überlagerung von zwei oder mehr Pfaden zugleich auszubreiten. In ihrem Experiment propagieren einzelne Photonen entlang von Wellenleitern, die mit einem Laser auf ein Glassubstrat geschrieben wurden, und werden auf einer Überlagerung von mehreren Pfaden geführt. Einer dieser Pfade dient zur Messung des Photonenflusses durch das Gerät. Diese Größe moduliert über ein komplexes elektronisches Rückkopplungsschema die Übertragung am anderen Ausgang, wodurch das gewünschte memristische Verhalten erreicht wird. Neben der Demonstration des Quanten-Memristors zeigen die Forscher*innen in Simulationen, dass optische Netzwerke mit Quanten-Memristor zum Lernen sowohl bei klassischen als auch bei Quantenaufgaben verwendet werden können. Dies deutet daraufhin, dass der Quanten-Memristor das fehlende Bindeglied zwischen künstlicher Intelligenz und Quantencomputern sein könnte.

„Das volle Potenzial von Quantenressourcen in der künstlichen Intelligenz zu erschließen, ist eine der größten Herausforderungen der aktuellen Forschung in der Quantenphysik und Computerwissenschaft“, sagt Michele Spagnolo, Erstautor der Veröffentlichung in „Nature Photonics“. Vor Kurzem hat die Gruppe von Philip Walther an der Universität Wien auch gezeigt, dass Roboter schneller lernen können, wenn sie Quantenressourcen nutzen und sich Schemata der Quanteninformationsverarbeitung zu eigen machen. Diese neue Errungenschaft ist ein weiterer Schritt in Richtung einer Zukunft, in der künstliche Quantenintelligenz Realität wird.

Originalpublikation:
Michele Spagnolo, Joshua Morris, Simone Piacentini, Michael Antesberger, Francesco Massa, Francesco Ceccarelli, Andrea Crespi, Roberto Osellame, Philip Walther, et al: „Experimental quantum memristor“. In: Nature Photonics
DOI: 10.1038/s41566-022-00973-5