Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse, dass die Anzahl vorhandener Schlüsselelemente tierischer Nervensysteme, aus denen wesentliche Signalmoleküle synthetisiert werden, nicht notwendigerweise mit dem Grad der anatomischen Komplexität des Nervensystems des entsprechenden Organismus korreliert. Die Studie erscheint aktuell in der Fachzeitschrift Scientific Reports.
„Ausgangspunkt unserer Fragestellung zur Evolution komplexer Nervensysteme im Tierreich war der Stamm der Weichtiere (Mollusken), welche so diverse Gruppen wie marine, bodenlebende wurmartige Formen und bekannte, wirtschaftlich und ökologisch wichtige Vertreter wie Muscheln, Schnecken und Tintenfische umfasst“, erklärt Studienleiter Andreas Wanninger vom Department für Integrative Zoologie an der Universität Wien. Gemeinsam mit Andrew Calcino und André Luiz de Oliveira ging er der Frage nach, auf welchen molekularen Grundlagen die Entstehung des hochkomplexen Nervensystems der Tintenfische (Cephalopoden) basiert.
„Wenn man ihre unmittelbaren Verwandten innerhalb der Mollusken betrachtet, so zeigt sich deutlich die herausgehobene Stellung, die Tintenfische in Bezug auf ihre kognitiven Fähigkeiten und ihres komplexen Gehirns besitzen. Es muss also im Laufe der Evolution einen massiven Sprung von relativ „einfachen“ Vorfahren zu hoch komplexen Formen stattgefunden haben“, so Wanninger. Da diese Frage mit rein morphologischen Analysen kaum aufzulösen ist, wendeten die WissenschafterInnen vergleichende genomische Studien an, um in der genetischen Information dieser Tiere etwaige Antworten hierauf zu finden.
„Im Zuge meines PhD-Projektes habe ich eine Vielzahl verfügbarer Genome und Transkriptome (Gensequenzen, die im Laufe bestimmter Entwicklungsstadien eines Organismus‘ aktiv sind) von Mollusken und anderen Tierstämmen analysiert“, berichtet Postdoc André Luiz de Oliveira, der die wesentlichen Untersuchungen der Studie beisteuerte. „Dabei stellte sich heraus, dass etliche Peptidfamilien nicht nur innerhalb der Mollusken, sondern im gesamten Stammbaum der Tiere wesentlich weiter verbreitet sind als bisher bekannt. Dies zeigt, dass viele dieser Elemente bereits sehr früh im Laufe der Evolution entstanden sind“, so de Oliveira.
Für noch größere Verwunderung sorgte der Umstand, dass bei den Tintenfischen, welche weit komplexer gebaute neuronale Strukturen besitzen als anderen Mollusken, keine höhere Anzahl an Neuropeptid- und Peptidhormonfamilien gefunden wurde. „Obwohl nicht auszuschließen ist, dass in den Genomen der untersuchten Organismen nicht doch die ein oder andere bisher nicht charakterisierte Peptidfamilie verborgen ist, zeigen die Ergebnisse doch deutlich, dass andere, bisher noch unverstandene, Mechanismen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung leistungsfähiger Gehirne eine Rolle spielen müssen“, erläutert Wanninger. Bereits frühe Vorfahren der heute die Erde besiedelnden Tiere scheinen ein erstaunlich ausgefeiltes und vielfältiges Repertoire neuroaktiver Substanzen besessen zu haben. Einmal mehr bestätigt sich hiermit ein oftmals zu beobachtendes Phänomen: Morphologische und molekulare Komplexität im Tierreich korrelieren nicht immer zwingend miteinander.