Ein Team des Instituts für Theoretische Chemie der Universität Wien hat, zusammen mit Forscher*innen von Boehringer Ingelheim und weiteren internationalen Kolleg*innen untersucht, welche Möglichkeiten zukünftige Quantencomputer für den Bereich der Medikamentenentwicklung bieten. „Theoretisch sind Quantencomputer in der Lage, die Elektronenstruktur von beliebigen Molekülen vorherzusagen, ohne dass unkontrollierbare Näherungen angewendet werden müssen“, sagt Leticia González, Theoretische Chemikerin an der Universität Wien. „Bei klassischen Computern steigt die Rechenzeit exponentiell mit der Anzahl der Elektronen des zu simulierenden Moleküls. Dadurch wird die Berechnung ab einer bestimmten Größe unmöglich. Mittels Quantencomputer lässt sich diese Barriere überwinden, d.h. es lassen sich in Zukunft Substanzen modellieren, für deren Berechnung klassische Computer Jahrhunderte brauchen würden.“
Hintergrund dazu ist: Eine der zentralen Fragestellungen bei der Entwicklung neuer Medikamente ist die Wechselwirkung des Arzneimittels mit dem Zielmolekül im Körper, welches das Krankheitsgeschehen beeinflusst. Bei den Zielmolekülen, die sogenannten Targets, handelt es sich in der Regel um Enzyme oder Rezeptoren, welche mit Hormonen oder anderen Botenstoffen des Körpers interagieren. Die Stärke der Wechselwirkung, die sogenannte Bindungsenergie, ist entscheidend für die Wirksamkeit des Medikaments. Neben klassischen Laborexperimenten werden heutzutage auch quantenchemische Rechenmethoden verwendet, um diese Wechselwirkungsenergie zu bestimmen bzw. vorherzusagen.
Trotz enormer Fortschritte, sowohl im Bereich der Hard- als auch der Software, ist die exakte quantenmechanische Berechnung der Wechselwirkungsenergie zweier Moleküle auf klassischen Computern immer noch eine große Herausforderung. Insbesondere bei Substanzen, welche ein oder mehrere Metallatome als zentralen Bestandteil aufweisen, ist die exakte Beschreibung der Eigenschaften mit klassischen Computern nahezu unmöglich. Prominente Vertreter solcher Verbindungen sind Zytochrome, welche unter anderem in der Atmungskette eine wichtige Rolle spielen. Auch bei bestimmten Antitumortherapeutika findet sich oft ein Übergangsmetallatom als entscheidende Komponente.
Seit der Physiknobelpreisträger Richard Feynman in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorgeschlagen hat, für die Simulation und Berechnung quantenmechanischer Systeme Quantencomputer zu verwenden, wurden bereits viele Fortschritte erzielt, um eines Tages Quantencomputer routinemäßig für physikalische Simulationen einzusetzen. Eines der vielversprechendsten Anwendungsgebiete ist dabei die Quantenchemie, welche versucht, Struktur und Eigenschaften von Molekülen auf exakter quantenmechanischer Basis vorherzusagen.
Falls eines Tages Quantencomputer dazu in der Lage sein sollten, würde dies einen enormen Fortschritt in der Medikamentenentwicklung bedeuten. Bis dahin sind zwar noch viele Schritte nötig, aber die Zusammenarbeit von Wissenschafter*innen verschiedener Disziplinen wie Pharmazie, Chemie, Physik und Ingenieurwissenschaften sowie die Kooperation zwischen Universitäten und der Industrie wird in Zukunft die Erforschung neuer Medikamente, unter Einsatz von Quantencomputern, stark beschleunigen.
Originalpublikation in „Nature Physics“:
Raffaele Santagati, Alan Aspuru-Guzik, Ryan Babbush, Matthias Degroote, Leticia González, Elica Kyoseva, Nikolaj Moll, Markus Oppel, Robert M. Parrish, Nicholas C. Rubin, Michael Streif, Christofer S. Tautermann, Horst Weiss, Nathan Wiebe & Clemens Utschig-Utschig: „Drug design on quantum computers“, Nature Physics (2024).
DOI: 10.1038/s41567-024-02411-5
Leticia González forscht außerdem zu künstlicher Photosynthese. Mehr dazu lesen Sie im Artikel „Wenn Forscher*innen Licht ernten“ im Wissenschaftsmagazin Rudolphina der Universität Wien.