Der Nationalpark Gesäuse umfasst etwas weniger als die Fläche der Stadt Graz, gehört aber zu den an besonderen Pflanzen- und Tierarten reichsten Regionen in Österreich. Steile Hänge, tiefe Schluchten, tosende Bäche formen eine außergewöhnliche Gebirgsregion. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten kommen ausschließlich hier vor, wie die zierliche Federnelke ausschließlich dort vorkommen.

Wissenschaftler:innen der Universität Graz beobachten hier Klima, Tier- und Pflanzenwelt. All das fließt nun in eine enge Kooperation zwischen der Universität Graz und dem einzigartigen Schutzgebiet, um die Veränderung des Lebensraums noch genauer zu erforschen.

Langzeitforschung

Für Herbert Wölger, Geschäftsführer der Nationalparkverwaltung, ist die Zusammenarbeit besonders wertvoll. „Der Nationalpark Gesäuse ist Prozessschutzgebiet, also Wildnis. Die natürlichen Abläufe können möglichst ungestört ablaufen. Es gibt keine Waldwirtschaft und keinen Schotterabbau.“ Diese Situation bietet beste Rahmenbedingungen für ökologische Langzeitforschung. Damit das gelingen kann, brauche es die Expertise der Wissenschaftler:innen der Uni Graz.

„Diese Zusammenarbeit sei ein hervorragendes Beispiel für die Verbindung zwischen Wissenschaft, Natur und Gesellschaft“, sagt Rektor Peter Riedler beim Besuch der Forschungsstationen. „Direkt vor Ort erforschen die Forscher:innen den Einfluss des Klimawandels auf die Region und ganz Österreich.“

Zurück zur Natur

Weil der 2002 eingerichtete Nationalpark vergleichsweise jung ist, lassen sich Entwicklungen „zurück zur Natur“ dort ausgezeichnet verfolgen. Daran ist auch Manuela Hirschmugl vom Institut für Geographie und Raumforschung interessiert, die im Gesäuse Forschungen durchführt: „Die extreme Topgrafie wirkt sich auf das gesamte Ökosystem aus. Steinschlag, Hangrutschungen oder Lawinen sind Teil eines natürlichen Zyklus, der Neues schafft.“

Hier führt Hirschmugl langfristige Messungen von Temperatur oder Niederschlag bis zum Waldbestand akribisch zusammen. Diesen Datenschatz will die Forscherin in einem aktuellen Projekt heben und im Rahmen des EU-Forschungsnetzwerkes eLTER global und frei zugänglich zur Verfügung stellen.

Im FFG-Projekt „RestorEO“ arbeitet Hirschmugl auch an Kennzahlen, die für die Zukunft der alpinen Wälder entscheidend sind. „Welche Parameter muss ein Wald aufweisen, um als natürlich zu gelten und wie können wir das kosteneffizient überwachen?“, will die Wissenschaftlerin beantworten.

Trinkwasser

In den Alpen entspringt die Hälfte des österreichischen Trinkwassers. „Karstquellen wie die Etzbachquelle bilden das zentrale Reservoir unserer Versorgung“, erklären Gerfried Winkler und Thomas Wagner vom Institut für Erdwissenschaften der Uni Graz. „Wir müssen daher abklären, ob und wie sie sich verändern“

Unter anderem misst das Team laufend die Wassertemperatur und die elektrische Leitfähigkeit sowie die Menge an Wasser pro Sekunde. „Früher gab es einen kompakten Aufbau der Schneeschichten sowie einen regelmäßigen Ablauf von Schneefall und Schmelze. „Diese Dynamik hat sich in jüngster Zeit auffällig verändert“, sagt Winkler.

Langjährige Beobachtung

Begleitet wird die Forschung von Winkler durch die Daten des WegenerNet Gesäuse. An 17 Klimastationen in der Region Gesäuse-Johnsbachtal misst das Wegener Center der Universität Graz alle zehn Minuten Daten zu Temperatur, Luftfeuchte, Niederschlag, Schnee, Wind, Strahlung und Luftdruck. An zwei weiteren Stationen werden außerdem Pegel und Wasserzustand des Johnsbachs aufgezeichnet.

Das Besondere: Dieses Forschungsprojekt soll zumindest bis in das Jahr 2100 fortgeführt werden. „Eine Herausforderung ist die oft exponierte Lage der Stationen, die auf Seehöhen zwischen 600 und 2200 Metern jedem Wind und Wetter ausgesetzt sind“, schildert Jürgen Fuchsberger, Informationstechniker am Wegener Center der Uni Graz.

Die Forscher:innen der Uni Graz ziehen aus den Daten der Stationen Rückschlüsse auf die Veränderung des alpinen Klimas. Fuchsberger: „Das WegenerNet misst seit 2007 und trägt mit seiner einzigartigen Stationsdichte wesentlich zur Verbesserung von Wetter- und Klimamodellen bei. Für aussagekräftige Trendberechnungen braucht es aber Messreihen von mindestens 20 bis 30 Jahren.“

Biodiversität

Im Nationalpark Gesäuse gibt es auch Almwiesen, die von den Bauern der Region bewirtschaftet werden. Im Sommer ziehen hier Rinderherden ihre Runden. „Ein Segen für die Biodiversität“, betont Christian Sturmbauer vom Institut für Biologie der Universität Graz. Denn so schaffen die Tiere ein Refugium für hunderte Pflanzen- und Insektenarten.

Der Grazer Biodiversitätsforscher testet daher seit Anfang des Jahres ein effizientes Monitoring-Verfahren von Insekten. Mit seinem Team sucht er genetische Spuren von Insekten, die sie beim Kontakt auf Wiesenpflanzen hinterlassen. Dazu werden die Gräser und Blüten in sterilem Wasser abgestreift, die darauf vorhandene „Umwelt-DNA“ der Besucher löst sich darin auf und kann untersucht werden. „Auf diese Weise können hunderte Arten gleichzeitig bestimmt werden, ohne sie dem Lebensraum zu entnehmen“, sagt Sturmbauer.
„All diese Erkenntnisse helfen dabei, unterschiedliche Phänomene – von Landschaft über Tier- und Pflanzenwelt bis zum Klima – sowie unsere Umwelt noch besser zu verstehen und in Zukunft lebenswert zu gestalten“, freut sich Joachim Reidl, Vizerektor für Forschung an der Universität Graz, über die Zusammenarbeit.