Obwohl viele Krokodilidenarten (Krokodile, Gaviale, Alligatoren und Kaimane) zu großen Raubtieren heranwachsen, sind ihre Jungtiere zu Beginn alle winzig klein. Schlüpflinge sind deshalb ein gefundenes Fressen für andere Räuber. Ein scheues und ruhiges Verhalten des Nachwuchses, um nicht gefressen zu werden, gilt als logischer Schluss. Allerdings zeigt eine aktuelle Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien in Kooperation mit der Universität Lincoln (Großbritannien), dass junge Mississippi-Alligatoren und Krokodilkaimane sich bereits einen Monat nach dem Schlupf sehr unterschiedlich verhalten. Die Alligatoren sind aktiver und neigen eher dazu, ihre Umgebung zu erforschen, als Kaiman-Schlüpflinge.

Erkundungstour

Die Studie wurde im Zoo „Crocodiles of the World“ durchgeführt – der einzigen, auf Krokodiliden spezialisierten Institution im Vereinigten Königreich. Während der Untersuchung wurden Mississippi-Alligator- und Krokodilkaiman-Schlüpflingen unbekannte Gegenstände in einer neuen Umgebung präsentiert. Die Alligatoren legten auf ihren Erkundungstouren viel längere Strecken zurück und wagten sich näher an die einzelnen Gegenstände heran, als die Kaiman-Babys. Eine eigens entwickelte Software registrierte die Bewegungen der Tiere. „Wir haben eine automatische Kodierung verwendet, weil wir auf diese Weise auch sehr kleine Verhaltensunterschiede sichtbar machen können“, so Stephan Reber, Erstautor der Studie und Kognitionsbiologe an der Lund University (Schweden). Die beobachteten Verhaltenstendenzen der Schlüpflinge sind denen älterer Artgenossen sehr ähnlich. „Erwachsene Mississippi-Alligatoren sind ziemlich selbstsicher und ruhig, während erwachsene Kaimane vergleichsweise nervöser sind und sich leichter erschrecken“, erklärt Reber weiter.

Alligator-Schlüpfling, Foto: Stephan Reber

Schutz durch die Muttertiere

Aufgrund ihrer geringen Körpergröße ist der Nachwuchs beider Arten wahrscheinlich im gleichen Maße durch Fressfeinde gefährdet. Allerdings sind die Jungtiere nicht auf sich alleine gestellt. Alle Krokodiliden werden nach dem Schlupf von einem Elternteil (meistens der Mutter) bewacht. Wie wirksam diese Bewachung ist, hängt von der Größe des Alttieres ab. „Mississippi-Alligatorenmütter haben keine natürlichen Feinde und können ihre Jungen gegen jeden Räuber verteidigen. Dagegen werden erwachsene Krokodilkaimane von einigen Tieren wie Pumas, Jaguaren und Anakondas gefressen“, sagt Reber. Unter den wachsamen Augen der Mutter können junge Alligatoren eher ihre Umgebung aktiv erkunden. Hingegen verhalten sich kleine Kaimane unauffällig, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, selbst wenn sie vom Muttertier bewacht werden.

„Die Resultate dieser Studie sind aufregend, da sie wichtige Erkenntnisse für den Artenschutz liefern“, sagt Anna Wilkinson (Lincoln University, UK). Denn einige Krokodilidenarten sind vom Aussterben bedroht und eine Methode, um die Populationen zu vergrößern, ist, Jungtiere – die in Gefangenschaft geboren wurden – wieder  auszuwildern. Bei jungen Kaimanen z. B. gilt es, mit der Freilassung jedoch abzuwarten, bis die Jungtiere eine gewisse Körpergröße erreicht haben, damit sie Räubern nicht zum Opfer zu fallen. Allerdings handelt es sich bei Krokodilkaimanen um eine invasive Art in Lebensräumen anderer Krokodiliden u. a. von Mississippi-Alligatoren. Die höhere Überlebensrate der Kaiman-Schlüpflinge könnte demnach auf den „passiven“ Schutz durch die verhaltensunauffälligeren Alligatoren-Jungen zurückzuführen sein.

Der Artikel „Early life differences in behavioral predispositions in two Alligatoridae species.” von S. Reber, J. Oh, J. Janisch, C. Stevenson, S. Foggett und A. Wilkinson wurde in Animal Cognition veröffentlicht.