Interstellare Wolken sind die Geburtsstätten von Sternen, sie könnten aber auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Leben spielen. Denn zwischen den Sternen einer Galaxie gibt es Regionen aus Staub und Gas, in denen sich chemische Verbindungen bilden. Die Forschungsgruppe um ERC-Preisträger Roland Wester am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung elementarer Moleküle im All besser zu verstehen. „Mit unserer Ionenfalle können wir, vereinfacht gesagt, das All ins Labor holen“, erklärt Roland Wester. „In der Apparatur lässt sich die Bildung von chemischen Verbindungen im Detail studieren.“ Nun haben die Wissenschaftler um Roland Wester eine Erklärung dafür gefunden, wie sich negativ geladene Moleküle im All bilden.
Theoretische Idee weist den Weg
Bis zur Entdeckung der ersten negativ geladenen Kohlenstoffverbindungen im Weltraum im Jahr 2006 ging die Wissenschaft davon aus, dass interstellare Wolken nur positiv geladene Ionen enthalten. Seither war offen, wie es zur Bildung negativ geladener Ionen kommt. Der italienische Theoretiker Franco A. Gianturco, der seit acht Jahren als Wissenschaftler an der Universität Innsbruck tätig ist, hatte vor einigen Jahren theoretische Überlegungen angestellt, die eine mögliche Erklärung dafür liefern. Sehr schwache Verbindungen, sogenannte Dipol-gebundene Zustände, sollen die Anbindung von freien Elektronen an stabförmige Moleküle ermöglichen. Solche Moleküle haben ein permanentes Dipolmoment, das in relativ weiter Entfernung vom neutralen Kern eine starke Wechselwirkung erzeugt und unter deren Einfluss sich die Bewegung eines Elektrons massiv verändert.
Lockt Elektronen in die Falle
In ihrem Experiment haben die Innsbrucker Physiker Moleküle aus drei Kohlenstoffatomen und einem Stickstoffatom erzeugt, diese ionisiert und in einer Ionenfalle bei extrem tiefen Temperaturen mit Laserlicht beschossen. Dabei änderten sie die Frequenz des Lichtes kontinuierlich solange, bis die zugeführte Energie groß genug war, um ein Elektron aus dem Molekül zu lösen. Diesen sogenannten Photoeffekt hatte Albert Einstein schon vor 100 Jahren beschrieben. Eine eingehende Analyse der Messdaten durch den Nachwuchswissenschaftler Malcolm Simpson vom Doktoratskolleg Atome, Licht und Moleküle an der Universität Innsbruck brachte schließlich Licht in dieses schwer zu beobachtende Phänomen. Ein Vergleich der Messdaten mit einem Computermodell erbrachte schließlich den eindeutigen Nachweis für die Existenz von Dipol-gebundenen Zuständen. „Unsere These ist, dass diese Dipol-gebundener Zustände eine Art Türöffner für die Bindung freier Elektronen an Moleküle darstellen und so zur Entstehung negativer Ionen im Weltraum beitragen“, sagt Roland Wester. „Ohne diesen Zwischenschritt wäre es sehr unwahrscheinlich, dass Elektronen tatsächlich an die Moleküle binden.“
Finanziell unterstützt wurde die Arbeit vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der das Doktoratskolleg Atome, Licht und Moleküle (ALM) an der Universität Innsbruck finanziert.
Publikation: Influence of a supercritical electric dipole moment on the photodetachment of C3N–. Malcolm Simpson, Markus Nötzold, Tim Michaelsen, Robert Wild, Franco A. Gianturco, and Roland Wester. Phys. Rev. Lett. 127, 043001 https://link.aps.org/doi/10.1103/PhysRevLett.127.043001