Der Wechsel zwischen kalten und warmen Phasen in der jüngsten Eiszeit führte zu wiederholten Vergletscherungen, massiven Vegetationsverschiebungen und großflächigen Veränderungen der Verbreitungsgebiete vieler Arten. Noch vor rund 20.000 Jahren, im letzteiszeitlichen Maximum, war ein Großteil Europas von Steppe bedeckt. Diese baumlosen Busch- und Graslandschaften bilden sich immer dort aus, wo gewisse Umweltfaktoren das Wachstum von Wäldern verhindern. „Die zonalen Steppen in Zentralasien sind durch das Großklima geprägt, sie entstehen durch sehr trockene klimatische Bedingungen. Die extrazonalen Steppenlandschaften im heutigen Europa verfügen hingegen über genug Niederschlag für Wald. Hier sind es zusätzliche Faktoren, wie eine geringe Bodenauflage, die Hangneigung oder Exposition, die ein Baumwachstum verhindern. Was viele jedoch nicht wissen: Steppen gehören außerhalb der Tropen weltweit zu den artenreichsten Ökosystemen“, erklärt Philipp Kirschner vom Institut für Botanik.

Relikte der Eiszeit

Die während der Eiszeit dominanten Arten und die Vegetation finden sich noch heute in den extrazonalen europäischen Steppen, wie beispielsweise in der Pannonischen Tiefebene oder auch im Südtiroler Vinschgau. Das Wissen über diese Ökosysteme stammt bisher von paläoökologischen und klimatischen Daten. Nun haben Forscher*innen erstmals große Mengen genetischer Daten zur Modellierung von Populationsschwankungen in europäischen Steppen während der Eiszeit verwendet. Dafür hat das Team nicht mit Modellorganismen, sondern mit fünf für Steppen typischen Pflanzen- und Insektenarten gearbeitet, die sie jeweils in eurasischen Steppengebieten von Spanien bis Kasachstan gesammelt haben. Teile des Genoms dieser Proben wurden an den Instituten für Ökologie und für Botanik an der Universität Innsbruck sequenziert und analysiert. Mit diesen Daten konnten die Innsbrucker Wissenschaftler*innen schließlich gemeinsam mit dem Bioinformatiker Manolo Perez vom Botanischen Garten in Madrid einen Algorithmus trainieren, der die im Genom der Proben gespeicherten Informationen mit drei möglichen Hypothesen zum Populationswachstum abgeglichen hat. „Wir haben drei Szenarien gegenübergestellt: Einmal, dass sich zonale und extrazonale Steppen während der Kaltzeit ausgebreitet haben, die Populationsgrößen also überall zugenommen haben, einmal, dass die Populationsgrößen während der Kaltzeit überall gleich geblieben sind und einmal, dass lediglich die Populationsgrößen in den zonalen Steppen zugenommen haben, also dort, wo das Großklima die Vegetation bestimmt, nicht aber in den extrazonalen europäischen Steppen“, erklärt Peter Schönswetter, Professor am Institut für Botanik. „Bei allen Arten konnten wir schließlich übereinstimmende Reaktionen in Form von Populationsexpansionen in der Kaltphase und Kontraktionen in der Warmphase feststellen, aber auch artspezifische Effekte“, so der Professor weiter.

Rasche Klima-Umwelt-Reaktion

Damit liefern die Forscher*innen mit dieser durch den FWF geförderten Studie erstmals anhand genetischer Daten ein genaues Modell, das zeigt, dass eine Expansion der für Steppen typischen Populationen mit Beginn der letzten Kaltzeit vor ca. 120.000 Jahren begonnen hat und dass mit zunehmender Kälte vor ca. 90.000 bis 60.000 Jahren ein exponentielles Wachstum eingesetzt hat. „Die Entwicklung der Lebensräume eurasischer Steppen spiegelt wichtige paläoökologische Wendepunkte des späten Quartärs wider und unterstreicht die Rolle des Klimas als treibende Kraft hinter den Mustern der genetischen Varianz. Unsere Studie zeigt außerdem auch, wie rasch die Umwelt auf das Klima reagiert“, sagt Philipp Kirschner.

Publikation: Philipp Kirschner, Manolo Perez, Eliška Záveská et al., Congruent evolutionary responses of European steppe biota to late Quaternary climate change, Nature Communications (2022). DOI: 10.1038/s41467-022-29267-8