Eine erhöhte Kalorienaufnahme, wie sie bei Zugvögeln bei ihren Flugwanderungen zu beobachten ist, kann die Produktion von reaktiven Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen erhöhen. Diese freien Radikale können lebenswichtige Moleküle, einschließlich Nukleinsäuren, Proteine und Lipide, schädigen – es kommt zum sogenannten oxidativen Stress. Allerdings haben aerobe Organismen verschiedene Abwehrstrategien, die sowohl exogene als auch endogen produzierte Antioxidantien nützen, um solchen Schäden entgegenzuwirken. Studien an verschiedenen Wirbeltierarten zeigen, dass Veränderungen des oxidativen Status Fitness-Konsequenzen haben können, beispielsweise indem die Überlebenswahrscheinlichkeit und das Fortpflanzungsverhalten beeinflusst wird.
Wenn Zugvögel wandern, verändert sich der oxidative Status im Gewebe
Ein Forschungsteam um Valeria Marasco vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni Vienna untersuchte nun an einer in Gefangenschaft gehaltenen Population von Wachteln (Coturnix coturnix), ob das Auftreten des Migrationsphänotyps, der vor allem durch eine erhöhte Nahrungsaufnahme und -zufuhr signalisiert wird, mit Änderungen des oxidativen Status einhergeht. Dazu simulierten die ForscherInnen eine Herbstwanderung, auf die eine Überwinterungsphase folgte. Dabei untersuchten die WissenschafterInnen mit Thiobarbitursäure-reaktiven Substanzen (TBARS), Superoxiddismutase (SOD) und Glutathionperoxidase (GPx) drei Marker für den oxidativen Status. Diese verändern sich laut Valeria Marasco bei der Flugwanderung deutlich: „Wir fanden heraus, dass das Auftreten des Migrationsphänotyps mit höheren TBARS-Spiegeln in der Leber, niedrigeren SOD-Werten in roten Blutkörperchen, erhöhten GPx im Brustmuskel und Veränderungen der roten Blutkörperchen und der Leber verbunden ist.“
Brustmuskulatur wird vor oxidativem Stress geschützt
Allerdings fanden die ForscherInnen in keinem der untersuchten Gewebe einen Zusammenhang zwischen der Nahrungsaufnahme und der Variation der Marker für den oxidativen Status, obwohl die Nahrungsaufnahme bei den Vögeln in der Wanderungsphase höher war. Die Zunahme des Körpergewichts korrelierte jedoch positiv mit der GPx-Aktivität der Muskeln, als die Vögel in die vormigrierende Mastphase eintraten, während die Abnahme des Körpergewichts negativ mit der GPx der Muskeln korrelierte, als die Vögel in die Überwinterungsphase wechselten. Solche Korrelationen fehlten in roten Blutkörperchen und in der Leber. Daraus ergibt sich laut Marasco die folgende Schlussfolgerung: „Wir gehen davon aus, dass Vögel während des Auftretens des Migrationsphänotyps die oxidativen Kosten für die Leber strategisch reduzieren könnten, um die Brustmuskeln zu schützen, da diese von grundlegender Bedeutung sind, um Wanderungsflüge erfolgreich zu absolvieren.“
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei einem der Stress-Marker
Zusammenfassend betonen die ForscherInnen, dass die soeben im Journal of Experimental Biology veröffentlichte Studie neue und eindeutige Beweise dafür liefert, dass Vögel beim Übergang in den wandernden und den nicht wandernden Zustand deutliche gewebespezifische Veränderungen des oxidativen Status erfahren. Laut den ForscherInnen sind nun weitere Studien an verschiedenen Vogelarten in freier Wildbahn – idealerweise mit einer natürlichen abwechslungsreichen Ernährung – erforderlich, um die Annahme zu validieren, dass Zugvögel ihre Flugmuskulatur strategisch vor schädlichen Erhöhungen des oxidativen Status schützen und damit ihre Fitness bei Wanderungsbewegungen verbessern. Zudem deuten die Daten zu GPx in der Migrationsphase auf geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf die roten Blutkörperchen und in der Leber hin. Weitere Studien sind nun nötig, um abzuklären, ob diese geschlechtsspezifischen Unterschiede funktionell mit den Markern für oxidativen Stress zusammenhängen.