Der weltumspannende Handel von Gütern und Dienstleistungen ist eine der Säulen der politischen und ökonomischen Globalisierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Unterstützt durch eine breite Palette von – oft umstrittenen – multilateralen Abkommen und eigens dafür geschaffenen Institutionen, wurde das Primat des „freien“ – also durch den Abbau von Zöllen, Einfuhrbeschränkungen u.ä. weitgehend unbeschränkten – Handels legitimiert und durchgesetzt. Und das sehr erfolgreich: Der globale Handel hat sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Er ist dabei viel stärker gewachsen als die globale Wirtschaftsleistung und er hat sich alleine seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts mehr als verdoppelt.
Die unsichtbaren Folgen des Handels
Die Auswirkungen der intensiven weltweiten wirtschaftlichen Verflechtung sind immens. Unbestritten ist, dass sie für verschiedene Länder bzw. Bevölkerungsgruppen ökonomische und soziale Chancen (wie am wirtschaftlichen und stark durch den Export angetrieben Aufstieg mancher Schwellenländer erkennbar), aber auch Risiken birgt. Dazu zählen etwa die hohe Volatilität und fehlende Steuerbarkeit der Welthandelspreise wichtiger landwirtschaftlicher Produkte und mineralischer Rohstoffe. Ebenso hat die Verlagerung arbeitsintensiver Industrien aus OECD-Staaten zur Marginalisierung mancher Bevölkerungsgruppen in den Industriestaaten beigetragen und letztlich dem rasanten Aufstieg abwehrender politischer Strömungen mit neuen Identifikationsangeboten – Stichwort: America first – einen fruchtbaren Nährboden geschaffen.
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Umwelt- und Sozialstandards sind den Spielregeln des Welthandels nur unzureichend eingeschrieben. Noch schlimmer, das Primat des freien Marktzugangs erschwert die Durchsetzung höherer Standards, da über deren Legitimität letztlich oftmals internationale Schiedsgerichte (etwa im Rahmen der World Trade Organization – WTO) entscheiden. Dies erleichtert es prädatorischen nationalen Eliten, eigene Interessen auf Kosten gesamtgesellschaftlich ausverhandelter Rahmenbedingungen durchzusetzen und es unterhöhlt insgesamt die politische Handlungsfähigkeit, die in weitaus geringerem Ausmaß als die Wirtschaft global organisiert ist.
Mangelnde Nachhaltigkeitsstandards
Als Fazit lässt sich konstatieren, dass der Welthandel in seiner derzeitigen Form zerstörerische und nicht nachhaltige Eigenschaften des Wirtschaftssystems verschärft. Da Konsum und Produktion vieler Güter und Dienstleistungen räumlich weit entfernt stattfinden, sind diese Konsequenzen den KonsumentInnen kaum bewusst.
Die auf mangelnden Nachhaltigkeitsstandards basierende Produktion dieser Exportgüter trägt massiv zur zunehmenden Zerstörung der Biosphäre – und damit der (Über)lebensgrundlagen der Menschheit – bei. So wird die Rodung der verbliebenen Regenwälder, die Überfischung tropischer Meere und die Entrechtung indigener Bevölkerungsgruppen entscheidend durch den Konsum der reichen Länder angetrieben. Europa ist der weltweit wichtigste Importeur zahlreicher Rohstoffe aus den Ländern des Südens – sei es Palmöl, Soja als Grundlage der europäischen Tierhaltung, oder Kaffee.
Beispiel Brasilien – die Verantwortung der EU
Die EU hat auf Grund ihrer Wirtschaftsmacht bei der Ausgestaltung von Handelsabkommen eine große Verhandlungsmacht. Derzeit wird seitens der EU ein neues Handelsabkommen mit Brasilien verhandelt. Brasilien ist das Land mit den mit Abstand größten tropischen Wäldern, die für das Überleben zahlreicher Arten, aber auch für den Schutz des Weltklimas von entscheidender Bedeutung sind. Die EU ist der zweitgrößte Handelspartner Brasiliens und alleine der Sojaimport aus Brasilien für europäische Rinder und Schweine hat in den letzten Jahren zu einer Rodung von etwa 1.000 Quadratkilometer Regenwald geführt – pro Jahr.
Die neue rechtsgerichtete Regierung in Brasilien hat den angekündigten aggressiven Abbau von Umwelt- und Sozialstandards in den wenigen Monaten seit Amtsantritt massiv vorangerieben, wodurch künftig die Rodung von Wäldern – auch von solchen, die von indigenen Völker bewohnt werden – für landwirtschaftliche Monokulturen erleichtert werden soll. Es liegt daher in der besonderen Verantwortung der EU, den Abschluss eines Handelsübereinkommens mit Brasilien an die verpflichtende Einhaltung von Standards zu verknüpfen, um genau dies zu verhindern. Dazu haben jüngst 602 Europäische WissenschafterInnen sowie Organisationen Brasilianischer indigener Völker die EU in einem in Science veröffentlichten Brief aufgefordert (Kehoe et al. 2019) als einen Schritt zu einer generell nachhaltigen Ausgestaltung globaler Handelsbeziehungen.
Franz Essl forscht und lehrt am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien.