Ameisen spielen eine zentrale Rolle in Ökosystemen, das zeigt allein schon ihre Masse: Etwa 20 Billiarden Ameisen gibt es laut jüngsten Schätzungen auf der Erde, das bedeutet mehr Biomasse als alle wildlebenden Säugetiere und Vögel zusammen. Ameisen graben Erde um, bekämpfen Schädlinge wie etwa Borkenkäfer, sind Zersetzer von Aas, Bestäuber von Pflanzen und verbreiten Pflanzensamen. Dennoch sind Studien zu an festen Standorten im Boden lebenden Tieren eher spärlich, besonders im Hinblick auf Auswirkungen des zu erwartenden ökologischen Wandels durch die Klimakrise. Der Ameisenforscher Patrick Krapf vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck hat nun in einer neuen, vom Wissenschaftsfonds FWF mitfinanzierten Studie das Verhalten hochalpiner Ameisen analysiert und sich dabei auf das Aggressionsverhalten konzentriert. Die Ergebnisse zeigen, dass in dieser Art Aggression offenbar mit Umweltfaktoren korreliert. „Wir haben acht Populationen der Ameise Tetramorium alpestre in verschiedenen Höhenlagen entlang des Alpenbogens auf ihr feindseliges Potenzial untersucht. Dazu haben wir Arbeiterinnen von unterschiedlichen Kolonien innerhalb der Populationen eines Standortes aufeinandertreffen lassen und uns angesehen, wie feindselig oder friedvoll sie miteinander umgehen“, erklärt Patrick Krapf. Die untersuchten Kolonien kommen auf Höhen zwischen 1600 und 2300 Metern vor und wurden in vier Ländern gesammelt. In Österreich wurden Kolonien aus dem Kühtai und vom Hahntennjoch (beide Tirol) sowie von der Mussen im Lesachtal (Kärnten) getestet, in der Schweiz vom Julier- und Simplonpass, in Frankreich vom Col de Vars und Col du Galibier und in Italien von einer Population nahe des Colle della Maddalena.
Ameisen im Zweikampf
Um das Verhalten zu überprüfen, führte das Team neben mehreren genetischen und umweltbezogenen Analysen auch Aggressionstests durch, in denen jeweils zwei Arbeiterinnen unterschiedlicher benachbarter Kolonien beteiligt waren (siehe Videos). Arbeiterinnen sind die größte Gruppe im Ameisenstaat und zuständig für Nahrungssuche, Nestbau und Brutpflege. „Dieser auf Video aufgezeichnete Zweikampf soll ein Aufeinandertreffen in freier Natur – wie es bei der Nahrungssuche der Ameisen-Arbeiterinnen vorkommt – simulieren“, so Krapf. Die insgesamt 3-Minuten-Videos wurden dann durch das Team auf Sekundenbasis ausgewertet und ergaben einen mittleren Aggressionswert für alle Paarungen. „Die Aggressivität der Ameisen aus den wärmeren Gebieten wie Italien und Frankreich war im Vergleich zu den kühleren Standorten in Österreich und der Schweiz um ein Vielfaches erhöht“, sagt der Ökologe. Auch die Nährstoffanreicherung im Boden – die so genannte Eutrophierung – spielt eine Rolle, wie die Forscher*innen feststellten: „Neben der erhöhten Lufttemperatur beobachten wir auch einen Zusammenhang zwischen Stickstoff-Gehalt in den Arbeiterinnen und im Boden und der Feindseligkeit. Die Stickstoffverfügbarkeit ist vermutlich auch aufgrund des ökologischen Wandels durch die Klimakrise in Böden erhöht.“
Aggression als Verlustgeschäft
Mehr Kämpfe unter den Ameisen-Arbeiterinnen können zwar für einzelne Kolonien vorübergehend mehr Nahrung bedeuten und somit einen kurzfristigen Vorteil bringen. Auf lange Sicht – und vor dem Hintergrund der als gesichert geltenden weiteren Erderwärmung – ist diese Entwicklung allerdings nachteilig zu sehen, so Krapf: „Dass Ameisen bei der Nahrungssuche aggressives Verhalten gegenüber anderen Kolonien zeigen, ist normal. Wenn diese Kampfaktivitäten aber zunehmen, kostet das den Arbeiterinnen viel Kraft und Zeit. Das könnte sich negativ auf die Entwicklung des ganzen Ameisenstaates auswirken, weil dann die Anzahl der Ameisen zurückgeht und beispielsweise weniger Nahrung vorhanden ist.“ Dass höhere Temperaturen zu mehr Aggressionen führen, ist in anderen Studien bereits etwa für Menschen, Huftiere und Wühlmäuse belegt worden. Dennoch besteht hier noch viel Forschungsbedarf, ist Patrick Krapf überzeugt – und schlägt mit der Forschungsgruppe daher noch weitere Studien vor: „Da Ameisen sehr wichtige Ökosystemdienstleister sind, ist ein besseres Verständnis der Folgen des globalen Wandels von großer Bedeutung.“