Einer fehlt – so lässt sich kurz das Mysterium beschreiben, das die Forschung lange beschäftigte. Konkret geht es dabei um die Nitrifikation, also die Umwandlung der Stickstoffverbindung Ammoniak erst in Nitrit und dann in Nitrat – ein wichtiger Teil des marinen Stickstoffkreislaufs. Im Meer sind diese zwei Prozesse ausgeglichen und der Großteil des verfügbaren Stickstoffs liegt als Nitrat, dem Endprodukt der Nitrifikation, vor. Wer den ersten Schritt dieser zweigeteilten Umwandlung im Meer ausführt, ist schon länger geklärt: Ammoniak oxidierende Archaea, die zu den häufigsten Organismen auf unserem Planeten zählen, verarbeiten das Ammonium zu Nitrit.
Den zweiten Part, die Verwandlung von Nitrit zu Nitrat, übernehmen Nitrit-oxidierende Bakterien, die in der marinen Wassersäule vor allem Nitrospinae. Da es von diesen Bakterien aber zehn Mal weniger gibt als von den Ammoniak-oxidierenden Archaea, vermuteten Wissenschaftler, dass es noch andere, unbekannte aber sehr häufige Nitrit-Oxidierer geben muss.
Schneller wachsen, schneller sterben
Ein Team aus Forscher*innen des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen, der Universität Wien, sowie der University of Southern Denmark und des Georgia Institute of Technology gelang es jetzt dieses Rätsel zu lösen. „Wir zeigen mit unseren Daten, dass wir überraschenderweise vermutlich schon alle Mitspieler kennen“, sagt Katharina Kitzinger, vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie.
In bisher publizierten Arbeiten wurde hauptsächlich die Anzahl der am Prozess beteiligten Mikroben erhoben. Die Forschenden um Katharina Kitzinger haben dagegen auch die Biomasse der Mikroorganismen sowie die Wachstumsraten und Aktivität einzelner Zellen untersucht. Die Erklärung dafür, weshalb die Ammoniak-oxidierenden Archaea zehn Mal häufiger vorkommen als die Nitrospinae, liegt ihren Daten zufolge nicht wie bisher angenommen in der unterschiedlichen Größe der Mikroorganismen oder des langsameren Wachstums von Nitrospinae. „Im Gegenteil, unsere Ergebnisse zeigen, dass die Nitrospinae deutlich aktiver sind und sehr viel schneller wachsen als die Ammoniak-oxidierenden Archaea. Nitrospinae sind somit deutlich effizienter als die Archaea“, erläutert die Wissenschafterin. Und fügt an: „An sich würde man daher erwarten, dass die Nitrospinae auch deutlich häufiger sind – dass dem nicht so ist, muss an ihrer sehr hohen Sterberate liegen. Damit lässt sich der ausgeglichene marine Nitrifikationsprozess erklären. Die Existenz weiterer unbekannter Nitrit-Oxidierer in der Wassersäule der Meere, die zahlenmäßig bedeutsam sind, ist somit sehr unwahrscheinlich.“
Stickstoff und Futter für Freunde
Gleichzeitig untersuchten die Forschenden, welche Stickstoffverbindungen die Partner Ammoniak-oxidierende Archaea und Nitrospinae für ihr Zellwachstum nutzen. „Während die Archaea fast ausschließlich Ammonium verwenden, nutzen Nitrospinae vor allem organischen Stickstoff, und zwar Harnstoff und Cyanat“, erklärt Michael Wagner, Mikrobiologe an der Universität Wien. „So konkurrieren die beiden Mikroorganismen nicht um dieselbe Stickstoffquelle.“ Vielmehr helfen sie sich gegenseitig: Die Nitrospinae spucken vermutlich nach der Aufnahme des organischen Stickstoffs wieder etwas Ammonium aus und stellen so wiederum die Energiequelle für ihre Freunde, die Archaea, zur Verfügung. Eine symbiotische Win-Win-Situation.
Die Daten stammen aus dem Golf von Mexiko, wo der Prozess der Nitrifikation durch den hohen Nährstoffeintrag aus Flüssen wie dem Mississippi sehr wichtig ist. „Die Zusammensetzung der am Prozess beteiligten Mikroorganismen ist aber weltweit sehr ähnlich“, sagt Kitzinger. „Darum ist es sehr wahrscheinlich, dass unsere Erkenntnisse auf andere Meeresregionen übertragen werden können.“
Publikation in Nature Communications
Katharina Kitzinger, Hannah K. Marchant, Laura A. Bristow, Craig W. Herbold, Cory C. Padilla, Abiel T. Kidane, Sten Littmann, Holger Daims, Petra Pjevac, Frank J. Stewart, Michael Wagner, Marcel M. M. Kuypers: Single cell analyses reveal contrasting life strategies of the two main nitrifiers in the ocean. Nature Communications, Februar 2020
DOI: 10.1038/s41467-020-14542-3