Das nur etwa 15 x 25 cm große Papyrusfragment (Graz, UBG Ms 1946) befindet sich bereits seit dem Jahr 1904 an der Universität Graz. Es wurde bei einer Grabung in der ägyptischen Nekropole von Hibeh (heute El Hiba) südlich von Fayum (El-Fayoum) entdeckt und gehört nun zu einer 52 Objekte umfassenden Sammlung von Papyri, die zum Teil in der Ptolemäerzeit (305–30 v. Chr.) als sogenannte Kartonage zur Umhüllung von Mumien verwendet wurden.

Bei dem Grazer Mumienbuch handelt es sich um ein Doppelblatt aus einem Notizbuch, auf dem um 260 v. Chr. Rechnungen für Bier- und Ölsteuer in griechischer Sprache festgehalten worden waren.

Baustein in der Geschichte des Buches

„Diese Entdeckung war ein echter Glücksfall. Zuerst sah ich ein Stück Faden, erst dann bemerkte ich das Format eines Buches. Ich sah einen zentralen Falz, die Heftlöcher und den geschriebenen Text innerhalb klar definierter Ränder auf dem Papyrus. Als Restauratorin fühlt es sich ganz besonders an, wenn man auf so eine Entdeckung stößt und einen Baustein in der Geschichte des Buches beisteuern kann. Gleichzeitig denkt man, es ist surreal. Als würde man einen Film sehen“, erzählt Theresa Zammit Lupi, Restauratorin in den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Graz begeistert über ihre Entdeckung.

Die frühesten bisher bekannten Codices mit Belegen für eine Heftung in Buchform wurden auf 150 – 250 n. Chr. datiert und befinden sich in der British Library (Add MS 34473) und in der Chester Beatty Library, Dublin (CBL BP II). „Das Grazer Mumienbuch entstand 400 Jahre früher und ist damit bis heute die älteste erhaltene Form eines Buches, die wir kennen“, betonen Erich Renhart und Thomas Csanády, Leiter der Sondersammlungen an der Grazer Universitätsbibliothek. „Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass sich in anderen Sammlungen noch weitere solche Kodex-Fragmente befinden, nach denen bislang nur nicht systematisch gesucht wurde. Denn Papyrus war ein relativ billiger Beschreibstoff, und es haben sich große Mengen dieser Fragmente erhalten“, so Erich Renhart. „Eine zentrale Rolle an den Sondersammlungen spielt dabei die Erforschung des eigenen Bestands. Würden unsere Konservatorinnen und Konservatoren sich nicht laufend auch wissenschaftlich mit den Exponaten auseinandersetzen, wäre es nie zu dieser Entdeckung gekommen“, betont Thomas Csanády.

Digitalisiertes Kulturgut

Bibliotheken sind auch im Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung Orte, an denen konsequent an der Bewahrung historischen Kulturguts gearbeitet und geforscht wird. „Der Kompetenz des Teams der Sondersammlungen der Universität Graz ist es zu verdanken, dass ein frischer Blick auf bereits lange Zeit bekannte, digitalisierte Objekte – in diesem Fall das Grazer Mumienbuch zu neuen Erkenntnissen führte. Man darf auf die Diskussionen in der Fachcommunity gespannt sein“, führt Pamela Stückler, die Leiterin der Universitätsbibliothek Graz, aus.

Motivierte Forscher:innen

„Die Entdeckung des historisch bedeutenden Buchfragments bestätigt die Wichtigkeit der Arbeit der motivierten Forscherinnen und Forscher an der Universität Graz. Sie ist auch Auftrag, weitere Forschungen auf diesem Gebiet voranzutreiben“, unterstreicht Peter Riedler, Rektor der Universität Graz, die Bedeutung für die Hochschule. „Noch dieses Jahr im Herbst werden wir internationale Spezialistinnen und Spezialisten zu einer Tagung nach Graz einladen, um das Buchfragment und daraus gewonnene neue Erkenntnisse zu erörtern“, so der Rektor abschließend.