Während in Kanada diesen Sonntag die Frauenfußball-WM zu Ende geht, befördern Wissenschafter der Karl-Franzens-Universität allgemein bekannte Klischees dieser Sportart ins Abseits: „Verschiedene Nationen werden meist mit speziellen Spielarten und Taktiken assoziiert. Wir haben aber herausgefunden, dass es innerhalb der europäischen Ligen bei Weitem nicht so viele Unterschiede gibt, wie landläufig angenommen und medial transportiert wird“, erklärt das wissenschaftliche Trio Admir Kozlic, MSc, Mag. Norbert Schrapf und Univ.-Prof. Dr. Markus Tilp vom Institut für Sportwissenschaft.
Spanien bietet mit dem technisch anspruchsvollen Kurzpassspiel „Tiki-Taka“ Fußballzauber vom Feinsten. Italien schiebt dem Gegner mit dem defensiven „Catenaccio“-System einen Riegel vor. Englands Devise für den schnellen Torerfolg lautet „Kick and Rush“, dabei gehen die Spieler der Insel mit ihren Kontrahenten nicht gerade zärtlich um. Klischees wie diese haben sich festgesetzt, obwohl sich bei genauerer Betrachtung zeigt, dass ihnen kaum Wahrheit zugrunde liegt. Kozlic, der derzeit seine Dissertation im Bereich Sportspielanalyse an der Uni Graz verfasst, hat bereits für seine Masterarbeit die Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz analysiert.
Nun vergleicht er die Taktiken der spanischen, italienischen, englischen, deutschen und österreichischen A-Liga miteinander. Sein Fazit: „In Italien, das angeblich mehr Wert auf Verteidigung als auf Angriff legt, wurden in der vergangenen Saison mehr Tore, es waren insgesamt 1024, als in den anderen untersuchten Ligen erzielt. Deutschlands Spieler gehen genauso oft in Zweikämpfe wie die als ‚körperbetont‘ verrufenen Engländer. Und in Spanien, dem Land, in dem Tiki-Taka angeblich erfunden wurde, erreichen sogar weniger Pässe ihr Ziel als in England, Deutschland oder Italien.“ Gründe für die verstärkte Angleichung der technischen und taktischen Spielweisen innerhalb Europas Fußballnationen sieht Kozlic in der zunehmenden Internationalisierung auf dem Spieler- und Trainermarkt.
Von der Wissenschaft in die Praxis
Kozlic hat für seine Arbeit insgesamt 73 Fußball-Matches mit einer speziellen, an der Uni Graz entwickelten Computer-Software analysiert. „Sie erlaubt uns, verschiedene Aktionen, wie etwa Pässe oder Torschüsse, in einer Datenbank zu speichern und zu klassifizieren. Die Auswertung der Daten gibt Aufschluss darüber, welche Spielzüge erfolgreich abgelaufen sind und warum“, erklären Schrapf und Tilp. Letzterer hat bereits verschiedene, vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderte wissenschaftliche Projekte zur Spielanalyse im Beachvolley- und im Handball geleitet. Die langjährige Kompetenz des Instituts für Sportwissenschaft der Uni Graz in diesem Bereich ist auch in der Praxis sehr gefragt: Mehrere steirische Vereine haben die Software schon genutzt. Unter anderen verwendete sie der FC Kapfenberg bereits für die interne Spielanalyse. In Zukunft ist geplant, die Software als kostenlosen Download zur Verfügung zu stellen, bestätigt Tilp.
Admir Kozlic arbeitet derzeit als Konditionstrainer und Spielanalyst beim FC Olimpic Sarajewo, mit dem er vor wenigen Wochen den Cupsieg in Bosnien fixiert und damit ein Ticket für die Europa-League im nächsten Jahr gelöst hat.
Foto: Admir Kozlic (hintere Reihe, 2.v.l.);
F. Foco, www.avaz.ba