Der 40 Meter hohe Messturm des Innsbruck Atmospheric Observatory an der Universitätskreuzung im Stadtgebiet von Innsbruck liefert laufend Daten über die Zusammensetzung der bodennahen Atmosphäre. Pro Stunde werden 36.000 Datenpunkte erfasst. Mit einem speziellen Messverfahren – der sogenannten Eddy-Kovarianz-Methode – lässt sich die Konzentration von Luftbestandteilen laufend überwachen. Ein internationales Team um Thomas Karl vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck hat diese Daten nun dazu genutzt, die Chemie von Ozon, Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid im urbanen Raum detailliert zu studieren. Der hohe Anteil von Dieselfahrzeugen in europäischen Städten führt zu starken Stickstoffmonoxid-Konzentrationen. Dieses reagiert mit Ozon, wodurch Stickstoffdioxid entsteht. In der Atmosphäre zerfällt Stickstoffdioxid wieder zu Stickstoffmonoxid und atomarem Sauerstoff, der sich sofort mit Luft-Sauerstoff zu Ozon verbindet.

Lehrmeinung muss präzisiert werden

Dieser chemische Zyklus wurde vor über 60 Jahren im ersten Lehrbuch zur Luftverschmutzung von Philip Leighton mathematisch beschrieben. Das Verhältnis der beiden Prozesse wird seither als Leighton-Beziehung bezeichnet. Computermodelle der Atmosphärenchemie nutzen die Leighton-Beziehung, um die Komplexität zu minimieren, indem sie die Konzentration von Ozon, Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid aus der Konzentration der jeweils beiden anderen ableiten. In der Praxis dient dies zum Beispiel dazu, die Ozonkonzentration in Gebieten abzuleiten, die durch Stickoxide verschmutzt sind. Die Daten der Innsbrucker Atmosphärenforscher zeigen nun, dass bei Vorhandensein von hohen Stickstoffmonoxid-Emissionen, rechnerische Vereinfachungen, die Leighton vorgenommen hat, zu falschen Ergebnissen führen. „In Städten mit hohen Stickstoffmonoxid-Emissionen wird dieses Verhältnis um bis zu 50 Prozent überschätzt“, warnt Thomas Karl. „Dies führt dazu, dass Modellrechnungen die Konzentration von bodennahem Ozon im urbanen Raum überschätzen. Dies spiegelt sich auch in den Luftgütevorhersagen wider.“ Nicht vernachlässigt werden darf dieser Effekt in der Modellierung der untersten Schicht der Atmosphäre, bis zu 200 Meter über dem Boden.

Verantwortlich für den von den Innsbrucker Wissenschaftlern untersuchten Effekt sind neben dem Vorhandensein hoher Stickstoffmonoxid-Emissionen, die im urbanen Raum stärkeren Turbulenzen. Die Durchmischung der Gase kombiniert mit den relativ rasch ablaufenden chemischen Prozessen führen dazu, dass mehr Ozon in Stickstoffdioxid umgewandelt wird. Die Daten der Forscher zeigen auch, dass der direkte Ausstoß von Stickstoffdioxid durch den städtischen Verkehr demgegenüber weitgehend vernachlässigbar ist. „Wichtig bleibt festzustellen, dass umweltpolitische Vorschriften nicht auf Modellrechnungen rekurrieren, sondern abhängig von tatsächlich gemessenen Schadstoffkonzentrationen in Kraft treten“, betont Thomas Karl.

Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht. Die Forschungen wurden gemeinsam mit dem National Center for Atmospheric Research (USA), der Case Western Reserve University (USA), der Wageningen University (NL) und Luftblick (AT) durchgeführt und unter anderem vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Europäischen Weltraumorganisation ESA finanziell unterstützt.

Publikation: High Urban NOx Triggers a Substantial Chemical Downward Flux of Ozone. Thomas Karl, Christian Lamprecht, Martin Graus, Alexander Cede, Martin Tiefengraber, Jordi Vila-Guerau de Arellano, David Gurarie, Donald Lenschow. Science Advances 2023 DOI: 10.1126/sciadv.add2365