Wie historische Aufzeichnungen belegen, wurde Kärnten im Jahre 1348 durch eines der stärksten bekannten Erdbeben im Alpenraum erschüttert. Sicher ist, dass durch das Beben Teile des Villacher Hausbergs Dobratsch abstürzten, die Gail zu einem See stauten und so zur Überschwemmung einiger Ortschaften führten. Was das Epizentrum dieses Erdbebens und das tatsächliche Schadensausmaß in Kärnten anbelangt, herrscht jedoch sowohl unter Historiker*innen als auch unter Seismolog*innen Uneinigkeit. Einige Forscher*innen gehen von einem Epizentrum nahe der österreichisch-italienischen Grenze aus, manche Autoren verorten das Erdbeben jedoch bis zu 50 km südwestlicher im Friaul. Dieses Gebiet war auch in den Jahren 1976 und 1977 von Erdbeben bis zu einer Magnitude von 6,4 betroffen, als 989 Menschen ihr Leben verloren.
Für eine akkurate Abschätzung der derzeitigen Erdbebengefährdung im dicht besiedelten Kärntner Zentralraum ist eine genaue Kenntnis der Epizentren historischer Ereignisse sowie der Häufigkeit starker Erschütterungen jedoch unerlässlich. Ein Team von Geologen der Universität Innsbruck suchte deshalb in Zusammenarbeit mit Geologen und Geophysikern der Universität Bern und der ETH Zürich sowie der Historikerin Christa Hammerl und dem Seismologen Stefan Weginger der GeoSphere Austria (ehemals ZAMG) im Wörthersee und im Millstätter See nach Indizien für vergangene Erdbeben. „Starke Erschütterungen, die an Land zumindest leichte Gebäudeschäden verursachen, lösen in den Seen Schlammlawinen aus. Die Ablagerungen dieser unterseeischen Rutschungen orteten wir mit akustischen Methoden und entnahmen dann gezielt bis zu 12 Meter lange Sedimentkerne, um deren Alter zu bestimmen“, so Christoph Daxer, Doktorand in der Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie am Institut für Geologie der Universität Innsbruck.

14.000 Jahre Erdbeben-Geschichte

Dabei erkannten die Forscher, dass die Spuren des Bebens von 1348 sowohl im Wörthersee als auch im Millstätter See gewaltig sind. „In beiden Seen sind damals mehr als fünf Millionen Kubikmeter an Seeschlamm mobilisiert worden. Außerdem fanden wir Ablagerungen, die mit weiteren historisch bekannten Erdbeben in den Jahren 1201, 1511, 1690 und 1857 in Zusammenhang stehen. Interessanterweise hinterließ das Erdbeben von 1976 jedoch kaum eine Spur“, erklärt Daxer. „Diese Funde bestätigen, dass die Intensitäten, also die Stärke der Erschütterungen vor Ort, während des Bebens von 1348 im Kärntner Raum merklich höher waren als jene von 1976. Bei einer ähnlichen Magnitude müsste das Epizentrum des 1348er Bebens folglich viel näher an den Seen gelegen haben als jenes von 1976.“ Die entnommenen Proben reichen jedoch weit über historische Zeiträume hinaus, wie Jasper Moernaut, Assistenzprofessor am Institut für Geologie der Universität Innsbruck, ausführt: „Im Wörthersee können wir die Erdbebengeschichte bis etwa 14.000 Jahre vor heute zurückverfolgen. 44 Erdbeben waren in diesem Zeitraum stark genug, um ihre Spuren im See zu hinterlassen. Da das Volumen und die Anzahl der Schlammlawinen mit der Intensität eines Erdbebens korrelieren, haben wir eine messbare Größe im geologischen Archiv, um auch die Intensitäten von prähistorischen Erdbeben zu bestimmen. Die gute Nachricht ist, dass ein ähnlich starkes wie jenes von 1348 wohl zuletzt vor etwa 11.500 Jahren, also etwa zum Ausgang der letzten Kaltzeit, stattgefunden hat.“

Tiefenkarte des Wörthersees
Im Bereich der Veldener Bucht offenbart die Tiefenkarte des Wörthersees zahlreiche unterseeische Rutschungen, die mit dem Erdbeben von 1348 in Zusammenhang stehen.
Copyright: Christoph Daxer

Beurteilung von Gefahren für die Zukunft

Die Forscher*innen nutzen die Daten auch, um die bestehenden Erdbebengefährdungsbeurteilung, die unter anderem die Grundlage für die Gebäudeplanung darstellt, zu überprüfen, wie Michael Strasser, Leiter der Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie am Institut für Geologie und der Austrian Core Facility für wissenschaftliche Bohrkernanalysen an der Universität Innsbruck, erläutert: „Diese Gefahrenbewertung basiert auf seismologischen Daten und den Ergebnissen der historischen Erdbebenforschung, die in etwa die letzten 1000 Jahre abdecken. Die Treffsicherheit dieser Modelle ist jedoch nur schwer überprüfbar. Mit den Erdbebendaten aus den Seen können wir jedoch genau das tun, da sie weit in die Vergangenheit reichen und so vollkommen unabhängig von den instrumentellen und historischen Daten sind.“ Es zeigte sich, dass die aktuelle Gefahrenbeurteilung zumindest im Raum Wörthersee die langfristige Erdbebengefährdung gut widerspiegelt. „Laut unseren Daten liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Erschütterung der Intensitätsstufe VII oder höher auf der Europäischen Makroseismischen Skala – hier ist zumindest mit Rissen in den Wänden zu rechnen – in den kommenden fünfzig Jahren bei fünf bis sechs Prozent“, so Moernaut. Die Daten zeigen aber auch, dass die Häufigkeit der Erdbeben lokal nicht konstant war, wie Daxer ergänzt: „Es gab längere Phasen mit wenigen Erdbeben, die dann von vielen Starkbeben in kurzer Abfolge unterbrochen wurden. Momentan scheinen wir uns in einer Phase erhöhter Erdbebentätigkeit zu befinden, was bei der Berechnung der Erdbebengefährdung berücksichtigt werden muss.“

Publikationen:
Daxer, C., Huang, J.-J.S., Weginger, S., Hilbe, M., Strasser, M. and Moernaut, J. (2022a) Validation of seismic hazard curves using a calibrated 14 ka lacustrine record in the Eastern Alps, Austria. Sci. Rep., 12, 19943. https://www.nature.com/articles/s41598-022-24487-w

Daxer, C., Ortler, M., Fabbri, S.C., Hilbe, M., Hajdas, I., Dubois, N., Piechl, T., Hammerl, C., Strasser, M. and Moernaut, J. (2022b) High-resolution calibration of seismically-induced lacustrine deposits with historical earthquake data in the Eastern Alps (Carinthia, Austria). Quat. Sci. Rev., 284, 107497. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0277379122001287