Intensive Landnutzung, Verbauung, Klimawandel und übermäßige Düngung führen weltweit zu einem weiter fortschreitenden Verlust an intakter Natur und Artenvielfalt. „Wie es aber um die Gefährdung ganzer Lebensräume – wie Magerwiesen, naturnaher Laubwälder, Regenwälder, Korallenriffen und Gebirgslebensräumen – bestellt ist, ist jedoch schlecht erforscht. Diese Lebensräume sind das ökologische Rückgrat einer intakten Natur“, erklärt Franz Essl von der Universität Wien ein Mitautor der Studie. „Hauptgrund für dieses Wissensdefizit ist, dass es immens schwierig ist, die gesamte Vielfalt der weltweit vorkommenden Lebensräume von der Tiefsee bis zu den höchsten Gipfeln einheitlich zu beschreiben“, ergänzt Essl.
Ein innovativer Ansatz zur Beschreibung der Lebensraumvielfalt
In einer mehrjährigen Arbeit haben mehr als 100 Wissenschaftler*innen weltweit einen neuen Ansatz erarbeitet, um die globale Lebensraumvielfalt zu klassifizieren. Die Forscher*innen haben die wichtigsten Parameter und Prozesse identifiziert, an Hand derer sich Lebensräume gegeneinander beschreiben und abgrenzen lassen. Franz Essl gibt ein Beispiel: „Moore etwa zeichnen sich durch einen extrem hohen Grundwasserstand, Nährstoffarmut und dem daraus resultierenden Fehlen von Bäumen aus. Das sind in diesem Fall die Parameter zur Beschreibung des Lebensraums.“ Die Wissenschafter*innen haben einen hierarchischen Gliederungsansatz angewandt, so dass sich Lebensräume je nach Bedarf auch feiner klassifizieren lassen, etwa für detaillierte Studien oder Schutzvorhaben. Außerdem wurden für jeden Lebensraum Verbreitungskarten erstellt.
Grundlage für den dringend nötigen, besseren Schutz bedrohter Lebensräume
Die globale Beschreibung und Klassifizierung von Lebensräumen ist eine wesentliche Grundlage für deren besseren Schutz. „Täglich werden anderswo Regenwälder zerstört, aber auch in Österreich werden jeden Tag artenreiche Wiesen, Moore oder alte Wälder vernichtet“, beschreibt Essl den Handlungsbedarf.
Um den Biodiversitätsverlust zu stoppen, wird auf politischer Ebene etwa eine Ausweitung von Schutzgebieten auf 30 Prozent der Landesfläche bis 2030 diskutiert. Um solche neuen Schutzgebiete aber auch wirksam zu machen, ist es nötig zu wissen, wo besonders gefährdete Lebensräume überhaupt noch vorkommen. Außerdem ermöglicht die neu vorgelegte Klassifizierung der Lebensräume der Erde, erstmals eine globale Rote Liste von Lebensräumen zu erstellen – um besser abschätzen zu können, welche Lebensräume einen besonders großen Schutzbedarf aufweisen.
Handlungsbedarf für Österreich
„Auch Österreich muss deutlich mehr als bisher für den Schutz der Lebensraumvielfalt leisten“, erläutert Essl. „Die Schutzgebietsfläche in Österreich liegt deutlich unter den angepeilten 30 Prozent, und es gibt immer noch zu wenig Geld für Land- und Forstwirte, um den Schutz gefährdeter Lebensräume zu sichern und damit auch für Grundbesitzer attraktiv zu machen. Dafür braucht es eine nationale Kraftanstrengung, etwa im Rahmen der vom Österreichischen Biodiversitätsrat seit Jahren geforderten Biodiversitätsmilliarde“, fordert Essl.
Originalpublikation:
Keith D et al. (2022) A function-based typology for Earth’s ecosystems. Nature
DOI: 10.1038/s41586-022-05318-4.