Intrazelluläre Bakterien: Freund statt Feind?
Unter natürlichen Bedingungen sind Protisten, zu denen auch die untersuchten Amöben gehören, häufig von Bakterien, unter anderem Chlamydien, infiziert. Chlamydien sind primär als Krankheitserreger des Menschen bekannt. Nahe Verwandte dieser humanpathogenen Chlamydien wurden mittlerweile jedoch in einer Vielzahl von Tieren und Einzellern entdeckt. „Da eine Chlamydien-Infektion nach aktuellem Wissensstand zu einem langsameren Wachstum des infizierten Wirts führt, gelten sie gemeinhin als Parasiten“, erklärt Patrick Arthofer, Erstautor der Studie und Doktorand am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien. Parasiten sind intrazelluläre Bakterien – also Symbionten – die einen negativen Einfluss auf den Wirt haben. Symbionten, die einen positiven Effekt haben, bezeichnet man als Mutualisten. „Unsere Studie zeigt nun, dass Chlamydien hier tatsächlich eher Mutualisten statt Parasiten sind, weil sie die Protisten gegen die für sie sonst tödliche Infektion durch Riesenviren schützen. Ein langsameres Wachstum ist schließlich besser als zu sterben“, sagt Arthofer.
Riesenviren und ihre einzelligen Wirte
Infektionen mit Bakterien, aber auch jene mit Viren, prägen, wie sich die Populationen von Protisten entwickeln. Die Forscher*innen der Universität Wien und der Université de Poitiers in Frankreich wollten wissen, wie eine Virusinfektion abläuft, wenn Protisten gleichzeitig mit Bakterien infiziert sind. Um Konstellationen, wie sie in natürlichen Umgebungen vorkommen, nachzuzeichnen, isolierten die Wissenschafter*innen Amöben, Bakterien und einen Riesenvirus – die anderen zwei in der Studie berücksichtigten Viren sind Modellsysteme für Riesenviren – aus ein- und derselben Umweltprobe.
Riesenviren sind erst seit knapp 20 Jahren bekannt. Ihre Entdeckung hat viele, bisher gültige Annahmen über Viren, auf den Kopf gestellt, weil sie nicht nur um ein Vielfaches größer sind als alle bis dahin bekannten Viren, sondern auch über Gene verfügen, die bis dahin als charakteristisch für zelluläre Lebewesen wie Bakterien, Tiere, Pflanzen und Pilze galten. Nach heutigem Wissensstand sind sie völlig ungefährlich für Tiere und den Menschen. Ihre natürlichen Wirte sind Einzeller mit Zellkern, die Protisten. Wenn Riesenviren eine Wirtszelle infizieren, bauen sie die gesamte Wirtszelle um und errichten eine sogenannte „Virusfabrik“. Diese produziert hunderte von neuen Viruspartikeln bis die Wirtszelle platzt und die neuen Viren freisetzt. „Wenn der Protist mit bakteriellen Symbionten infiziert ist, wird genau dieser Prozess unterbunden“, erklärt Matthias Horn, Leiter der Forschungsgruppe. „Unsere Studie zeigt, dass das Vorhandensein der Chlamydien zwar nicht verhindert, dass das Virus aufgenommen wird. Die Viren können anschließend aber keine funktionstüchtige Virusfabrik bilden“, erzählt er. Das, was in dieser Interaktion zwischen den Bakterien und den Riesenviren innerhalb der Amöbe passiert, hat nicht nur Folgen für den Wirt selbst. „Eine gängige Hypothese ist, dass diese intrazellulären Interaktionen zwischen Riesenviren und bakteriellen Symbionten eine Rolle dabei gespielt haben, dass Riesenviren so komplex geworden sind“, sagt Horn. Die Untersuchung von Virus-Symbionten-Interaktionen könnte daher Antworten auf die Frage nach der Entstehung von Riesenviren bringen.
Bakterien, die vor Viren schützen, beeinflussen Nahrungsnetze
Protisten sind weit verbreitet und leben unter anderem in Gewässern, in Meerwasser und Meeresböden. Sie ernähren sich von Bakterien, nehmen damit die in den Bakterien gebundenen Nährstoffe auf und geben diese, wenn sie selbst gefressen werden, an Tiere wie kleine Krebse weiter. Nur auf diesem Wege haben die Tiere auf die Nährstoffe der Bakterien Zugriff. Werden die Protisten von Viren getötet, können die dabei freigesetzten Nährstoffe nur wieder von Bakterien verwertet werden. „Wenn Chlamydien die Protisten davor schützen, von Viren zerstört zu werden, sorgen sie damit also nicht bloß dafür, dass ihre Wirte als Nahrungsquelle für kleine Tiere erhalten bleiben. Die bakteriellen Symbionten könnten auf diese Weise den gesamten Nährstoffzyklus in Ökosystemen beeinflussen“, erklärt Arthofer.
Zukünftige Forschung soll zeigen, inwieweit dieser Prozess für die Funktionsweise von Ökosystemen von Bedeutung ist. „Der genauere Blick auf die Viren-Symbionten-Interaktion verrät uns grundsätzlich etwas über Dynamiken im Ökosystem“, betont Matthias Horn. Die Wissenschafter*innen wollen daher als nächstes auch den genauen Mechanismus untersuchen, der hinter dem Bakterien-vermittelten Schutz von Protisten vor Riesenviren steht. Anouk Willemsen, Co-Autorin des Papers und Virologin am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien, wiederum richtet ihren Blick ganz spezifisch auf die Riesenviren: In einem erst kürzlich vom Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) bewilligten Forschungsprojekt untersucht sie, wie Riesenviren ihre Komplexität erlangt haben.
Originalpublikation:
Patrick Arthofer, Vincent Delafont, Anouk Willemsen, Florian Panhölzl, Matthias Horn: Defensive symbiosis against giant viruses in amoebae. In: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2022.
DOI: 10.1073/pnas.2205856119