Die Gehirngröße variiert im Tierreich erheblich. Da die Entwicklung und Erhaltung eines großen Gehirns aufwändig ist, stellt sich aus evolutionärer Sicht die Frage, warum einige Organismen mehr in ihr Gehirn investieren als andere. Typischerweise werden die Unterschiede der Gehirngröße mit Kompromissen erklärt: Die Vorteile eines größeren Gehirns, wie beispielsweise verbesserte kognitive Fähigkeiten, werden gegen potenzielle Kosten, wie beispielsweise einen erhöhten Energiebedarf, abgewogen. In diesem Rahmen wurden von der Wissenschaft mehrere Hypothesen formuliert, die unterschiedliche Schwerpunkte auf ökologische, verhaltensbezogene oder physiologische Aspekte von Kompromissen bei der Entwicklung der Gehirngröße legen. Allerdings beziehen sich diese Hypothesen zu einem großen Teil auf Säugetiere und Vögel, weshalb unklar ist, inwieweit die jeweiligen Argumente allgemein gültig sind.

Bisherige Hypothesen sind nur zum Teil allgemein gültig

In ihrer soeben im „Journal of Evolutionary Biology“ veröffentlichten Studie testeten die beiden Forscher deshalb nun drei der prominentesten Hypothesen – die Hypothesen „teures Gewebe“ („expensive tissue“), „soziales Gehirn“ („social brain“) und „kognitiver Puffer“ („cognitive buffer“) – anhand von Fischen. Basis der Analyse war ein umfassender Datensatz, der aus einer öffentlich zugänglichen Ressource („FishBase“: www.fishbase.se) stammt. In Übereinstimmung mit den Vorhersagen der „teuren Gewebe“- und der „sozialen Gehirn“-Hypothese sind zumindest bei einigen Fischgruppen größere Gehirne mit verringerter Fruchtbarkeit und erhöhter Sozialität verbunden.

Andere Hypothesen konnte die Studie jedoch nicht verifizieren, wie Studien-Erstautor Stefan Fischer vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni erklärt: „Entgegen den gängigen Hypothesen ist die Lebensdauer bei Fischen mit großen Gehirnen verkürzt. Außerdem haben Arten, welche elterliche Fürsorge übernehmen, tendenziell kleinere Gehirne.“ Somit ist bei Fischen die Brutpflege indirekt proportional zur Gehirngröße – laut den Forschern eine überraschende Erkenntnis.

Grundlegende Hypothesen sollten anhand unterschiedlicher Taxa geprüft werden

Die Conclusio der Studie: Einige potenzielle Kosten (reduzierte Fruchtbarkeit) und Vorteile (erhöhte Sozialität) großer Gehirne scheinen für Wirbeltiere nahezu universell zu sein, während andere eher abstammungsspezifische Auswirkungen haben. Die Forschungsarbeit unterstreicht damit laut Studien-Letztautor Arne Jungwirth vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni die Notwendigkeit einer taxonomisch vielfältigen Herangehensweise an alle grundlegenden Fragen der Evolutionsbiologie: „Unsere Arbeit zeigt deutlich, dass es notwendig ist, selbst vermeintlich gut etablierte Hypothesen anhand möglichst vieler verschiedener Taxa, also Gruppen von Tieren, zu testen – das Leben ist vielfältiger und faszinierender, als es unsere Theorien glauben machen.“

Der Artikel „The costs and benefits of larger brains in fishes“ von Stefan Fischer und Arne Jungwirth wurde im „Journal of Evolutionary Biology“ veröffentlicht.

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