Tiere oder Pflanzen mit getrennten Geschlechtern sind in der Natur weit verbreitet. Die Trennung der Geschlechter ist das Ergebnis unabhängiger Evolution von ihrem eingeschlechtlichen (hermaphroditischen) Vorfahren. Wie genau der Übergang zwischen ungeschlechtlicher und geschlechtlicher Fortpflanzung zu Stande kam, also wie die Geschlechter entstanden sind, ist immer noch eine ungelöste Frage. Mit Ausnahme der Insekten sind etwa ein Drittel aller Tierarten, wie Regenwürmer, Schnecken und einige Teleosteer, hermaphroditisch, also zwittrig. Ein Vergleich mit ihren Verwandten, die getrennte Geschlechter entwickelt haben, könnte Aufschluss darüber geben, wie dieses besondere Merkmal bei Tieren entstanden ist.
Ein neues Paper in Nature Communications, das von Qi Zhou vom Department für Neurowissenschaften und Entwicklungsbiologie der Universität Wien und der Zhejiang Universität in China veröffentlicht wurde, gibt Aufschluss darüber wie getrennte Geschlechter entstanden sind und beschreibt, wie sich die Geschlechtschromosomen bei Plattwürmern und Rundwürmern entwickelt haben.
Zwei nicht verwandte Wurmarten geben Hinweise darauf, wie sich Sex-Chromosomen entwickelt haben könnten
Obwohl beide Phyla als „Würmer“ bezeichnet werden, sind sie aus evolutionärer Sicht eher weit voneinander entfernt. Gemeinsam ist ihnen, dass zahlreiche Arten beider Phyla, wie z. B. der Bandwurm und die Schistosomen (gemeinhin als Blutegel bekannt), Parasiten für Mensch und Vieh sind und schwere Symptome und Komplikationen verursachen können. Die Identifizierung und Untersuchung ihrer geschlechtsspezifischen Gene könnte die Grundlage für eine künftige Unterbrechung ihres Fortpflanzungszyklus bilden, um die Parasiten wirksam zu bekämpfen.
Die Forscher*innengruppe um Qi Zhou sammelte bereits veröffentlichte Genom- und Transkriptomdaten von 41 Nematodenarten und 13 Plattwurmarten, wobei es sich bei Letzteren mit Ausnahme der Schistosomen meist um zwittrige Arten handelt. Zwischen diesen identifizierten sie in der Zusammensetzung der Geschlechtschromosomen von 17 Fadenwurmarten sogenannte „Nigon-Elemente“. Dabei handelt es sich um uralte Chromosomeneinheiten, die alle Nematoden gemeinsam haben und die nach dem Biologen Victor Nigon benannt wurden (in Anlehnung an die „Muller-Elemente“ der Drosophila Fruchtfliege). Mit diesem Vergleich zeigten die Autor*innen, dass die große Vielfalt der Geschlechtschromosomen von Fadenwürmern auf unterschiedliche Kombinationen von Nigon-Elementen zurückzuführen ist. Durch das wiederholte Hinzufügen verschiedener Nigon-Elemente, die zuvor nicht zu den Geschlechtschromosomen, sondern zum doppelten Chromosomensatz gehörten, erweiterten verschiedene Fadenwurmarten ihre geschlechtsgebundenen Regionen, die später im Laufe der Evolution die Rekombination unterdrückten.
Blutegel – vom Zwitter zur geschlechtlichen Fortpflanzung
Eine weitere wichtige Erkenntnis ergibt sich aus dem Vergleich der sich sexuell fortpflanzenden Blutegel mit verwandten zwittrigen Arten. Bei den blutsaugenden Parasiten erfolgte der Übergang in den Zustand getrennter Geschlechter erst vor relativ kurzer Zeit, vor etwa 70 Millionen Jahren. Die Autor*innen zeigten, dass während dieses Übergangs die Gonadengene der Blutegel weniger „verweiblicht“ wurden, d. h. sie wiesen insgesamt eine geringere Ovarexpression auf als ihre Verwandten bei den hermaphroditischen verwandten Arten. Sie identifizierten auch ein Kandidatengen, mag-1, dessen Unterbrechung zu vergrößerten Hoden führt. Dies könnte ein entscheidender Schritt für den Übergang in die Geschlechtertrennung bei dieser Art sein.
Publikation in Nature Communications:
Wang, Y., Gasser, R.B., Charlesworth, D., Zhou Q. Evolution of sexual systems, sex chromosomes and sex-linked gene transcription in flatworms and roundworms. Nat Commun 13, 3239 (2022).